Deutschlands größte Agri-PV-Anlage mit einer Fläche von umgerechnet 130 Fußballfeldern wird derzeit im mecklenburgischen Tützpatz errichtet. Wir haben im Interview mit Vattenfall, dem Betreiber der Anlage, erfahren, wie sich Solarenergie, Landwirtschaft und Biodiversität verbinden lassen.
In der kleinen Gemeinde Tützpatz, nahe der Mecklenburgischen Seenplatte, ist zurzeit mehr als gewöhnlich los: Auf einer Fläche von 93 Hektar wird eine der größten Agri-PV-Anlagen Europas errichtet, die eine Leistung von rund 80 Megawatt haben wird. Das Projekt ist in drei Abschnitte unterteilt: Der Abschnitt „Tützpatz 1“ wird für Geflügelhaltung genutzt, mehrere tausend Hühner sollen hier mit mobilen Hühnerställen untergebracht werden. Auf den Abschnitten Tützpatz 2 und Tützpatz 3 werden Nutzpflanzen angebaut, weshalb hier die Module auf Trackern installiert sind. Diese können während der Ernte und des Anbaus in eine fast senkrechte Position gebracht werden und somit Platz für die landwirtschaftlichen Maschinen machen.
Mittels Batteriespeicher zu mehr Flexibilität
Eine weitere Besonderheit an der Anlage ist, dass im Nachbarort Breesen eigens ein 110 kV-Umspannwerk errichtet wurde und ein Batteriespeicher in der Planung ist. Grund hierfür ist, dass in unmittelbarer Nähe der Anlage kein entsprechender Netzverknüpfungspunkt existierte und das Hochspannungsnetz des zuständigen Verteilnetzbetreibers weitgehend ausgelastet ist. Durch den netzdienlichen Speicher lässt sich der erzeugte Solarstrom flexibler und bedarfsgerecht ins Stromnetz einspeisen, sodass der Solarstrom bspw. auch in der Nacht genutzt werden kann.
Im Gespräch mit Kai Debus, Agri-PV-Experte von Vattenfall, konnten wir mehr über dieses einzigartige Projekt erfahren.
SonneSammeln: Die Agri-PV-Anlage in Tützpatz ist die größte ihrer Art in Deutschland. Gab es zuvor kleinere Testprojekte, um die Technologie sowie die landwirtschaftliche Tätigkeit in den Anlagen zu erproben?
Kai Debus: Ja, wir haben bereits im Jahr 2021 unsere erste Investitionsentscheidung für eine Agri-PV-Anlage in den Niederlanden gefällt. Das Pilotprojekt „Symbizon“ zielt darauf ab, zu erforschen, wie wir das Pflanzenwachstum zwischen und unter den Modulreihen optimieren und gleichzeitig Grünstrom erzeugen können.
SonneSammeln: Erhält das Projekt Tützpatz eine Förderung durch das EEG?
Kai Debus: Nein, für das Projekt wurden keine Förderungen durch das EEG oder andere Subventionen beantragt. Wir haben bei diesem Projekt zunächst ein Power Purchase Agreement (PPA) mit der Power and Air Condition Solution Management GmbH (PASM), einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG, für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen. Die Anlage in Tützpatz deckt rechnerisch den Bedarf von etwa 2.500 Mobilfunkmasten.
SonneSammeln: Die Anlage ist einzigartig in Bezug auf Maßstab und Nutzungskonzept. Als erste ihrer Art ist sie sicher interessant für die Forschung, nicht wahr?
Kai Debus: Es gibt eine wissenschaftliche Begleitstudie. Darin werden sowohl auf den Flächen von Tützpatz 2 und 3 der Einfluss der Photovoltaik-Anlage bzw. der Modulreihen auf den landwirtschaftlichen Ertrag der Rapsfruchtfolgen als auch auf Tützpatz 1 die Auswirkungen der mobilen Hühnerhaltung auf die Nitrat-Stickstoff-Einbringung in die Böden und ins Grundwasser untersucht.
“Die Flächen von Tützpatz 2 und 3 werden streng nach den Vorgaben aus der DIN SPEC 91434 gebaut und bewirtschaftet.”
SonneSammeln: Wird die Agri-PV-Anlage gemäß der DIN SPEC 91434 bzw. 91492 gebaut und bewirtschaftet?
Kai Debus: Ja, wir bauen und bewirtschaften die Flächen streng nach den Vorgaben aus der DIN SPEC 91434. Es gab während der Planungsphase und dem Zeitpunkt des ergangenen Satzungsbeschlusses für die Anlage zwar noch nicht die jüngst erarbeiteten Standards der DIN SPEC 91492. Dennoch haben wir auch die Fläche von Tützpatz 1, auf der die Hühner in mobilen Ställen gehalten werden, streng nach tierwohlspezifischen Aspekten geplant.
Sonne Sammeln: Gab es seitens des Flächeneigentümers/Landwirts Zweifel am Gelingen des Projektes?
Kai Debus: Der Landeigentümer war dem Projekt insgesamt und vor allem gegenüber unseren innovativen Lösungen zur differierenden Flächenbewirtschaftung mit Hühnerhaltung zwischen festaufgeständerten Modulreihen sowie Ackerbau zwischen bifazialen Trackermodulen sehr positiv eingestellt.
“Die Einwohner der Gemeinde Tützpatz standen dem Projekt von Anfang an sehr positiv gegenüber.“
SonneSammeln: Wie stehen die Einwohner der Gemeinde Tützpatz dem Projekt gegenüber?
Kai Debus: Die Einwohner der Gemeinde Tützpatz standen dem Projekt von Anfang an sehr positiv gegenüber. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass wir die Sichtachsen beachtet haben und sich die Anlage daher sehr gut in die Landschaft integriert. Vom Ortskern und dessen Peripherie ist die Anlage nicht zu sehen.
SonneSammeln: Wie lange dauerte es denn von der Idee bis zur Eröffnung der Anlage?
Kai Debus: Aufgrund der Größe und der Komplexität dauert die Realisierung der Anlage von der Idee bis zum vollständigen Netzanschluss rund drei Jahre.
“Unter den nachgeführten bifazialen Trackermodulreihen wird es biodiversitätsfördernde Blühstreifen geben.”
SonneSammeln: Werden beim Projekt Tützpatz auch biodiversitätsfördernde Maßnahmen umgesetzt?
Kai Debus: Ja, unter den nachgeführten bifazialen Trackermodulreihen wird es biodiversitätsfördernde Blühstreifen geben, die gesamten Flächen werden mit heimischen Gewächsen und Hecken eingegrünt. Auf einer rund 2,5 Hektar großen Fläche bei Tützpatz 1 wird zudem eine Blühwiese als Lebensraum für heimische Insekten, Vögel und Kleinsäuger angelegt.
SonneSammeln: Warum eignet sich die Haltung von Hühnern in der Agri-PV-Anlage?
Kai Debus: Die Kombination aus Freifläche und überbauter Fläche durch PV-Module bildet eine nahezu optimale Voraussetzung zur Freilandhaltung von Geflügel. Die Hühner haben reichlich Auslauf, wovon sie auch Gebrauch machen, da sie durch die niedrig ansetzenden und geneigten Module zugleich den Schutz vor Prädatoren wie Greifvögeln aus der Luft genießen. Durch die gezielte Nutzung mobiler Ställe kann das Auslaufmanagement der Hühner optimiert werden. Hühner in Freilandhaltung neigen tendenziell dazu, die Flächen im stallnahen Bereich sehr intensiv zu nutzen und abzuweiden. Das wirkt sich zwangsläufig auf den Bewuchs, den Boden und das Grundwasser aus. Durch regelmäßiges Versetzen der Ställe und der Auslaufflächen können solche negativen Begleiterscheinungen deutlich reduziert werden.
SonneSammeln: Sind weitere Agri-PV-Anlagen mit einer Kombination aus Tierhaltung und Feldwirtschaft geplant?
Kai Debus: Ja, wir haben gegenwärtig mehrere Agri-PV-Anlagen in Planung. Und die Anfragen nach Agri-PV-Anlagen, insbesondere die Kombination aus Tierhaltung und effizienter Grünstromgewinnung, hat in den vergangenen Monaten weiter signifikant zugenommen.
SonneSammeln: Wird Agri-PV zukünftig kommerziell so attraktiv werden, dass die Technologie progressiv ausgebaut wird?
Kai Debus: Ja, Agri-PV ist schon heute unter bestimmten Voraussetzungen aus wirtschaftlicher Sicht eine attraktive Alternative zu klassischen PV-Freiflächenanlagen. Mit zunehmendem Wirkungsgrad der Module ist der Energieertrag bei Agri-PV-Anlagen zuletzt kontinuierlich gestiegen. Außerdem werden Agri-PV-Anlagen und andere besondere Solaranlagen nach dem EEG vergütet, gegenüber klassischen Freiflächenanlagen in der Ausschreibung bevorzugt bezuschlagt und mit einem höheren Höchstgebotswert versehen.
Mehr zu dem Agri-PV-Projekt Tützpatz finden Sie auf der Projektseite von Vattenfall sowie in diesem Video .
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Das Interview führte Alice Brüssel-Kurbanov mit Kai Debus am 25. Oktober 2024
Kai Debus ist Senior Stakeholder Manager Germany bei Vattenfall und in dieser Position u.a. für die landespolitischen Beziehungen zuständig. Als Agri-PV-Experte und Konsortialmitglied hat er an der DIN SPEC 91492 mitgewirkt.