Hüh­ner unter Solar­mo­du­len — Deutsch­lands größ­te Agri-PV-Anla­ge steht in Tützpatz

1. November 2024

Deutschlands größte Agri-PV-Anlage mit einer Fläche von umgerechnet 130 Fußballfeldern wird derzeit im mecklenburgischen Tützpatz…

Alice Brüssel-Kurbanov

Hüh­ner unter Solar­mo­du­len — Deutsch­lands größ­te Agri-PV-Anla­ge steht in Tützpatz

Beispiel aus der Praxis
Landwirtschaft
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1. November 2024

Deutsch­lands größ­te Agri-PV-Anla­ge mit einer Flä­che von umge­rech­net 130 Fuß­ball­fel­dern wird der­zeit im meck­len­bur­gi­schen Tützpatz errich­tet. Wir haben im Inter­view mit Vat­ten­fall, dem Betrei­ber der Anla­ge, erfah­ren, wie sich Solar­ener­gie, Land­wirt­schaft und Bio­di­ver­si­tät ver­bin­den las­sen.

In der klei­nen Gemein­de Tützpatz, nahe der Meck­len­bur­gi­schen Seen­plat­te, ist zur­zeit mehr als gewöhn­lich los: Auf einer Flä­che von 93 Hekt­ar wird eine der größ­ten Agri-PV-Anla­gen Euro­pas errich­tet, die eine Leis­tung von rund 80 Mega­watt haben wird. Das Pro­jekt ist in drei Abschnit­te unter­teilt: Der Abschnitt „Tützpatz 1“ wird für Geflü­gel­hal­tung genutzt, meh­re­re tau­send Hüh­ner sol­len hier mit mobi­len Hüh­ner­stäl­len unter­ge­bracht wer­den. Auf den Abschnit­ten Tützpatz 2 und Tützpatz 3 wer­den Nutz­pflan­zen ange­baut, wes­halb hier die Modu­le auf Tra­ckern instal­liert sind. Die­se kön­nen wäh­rend der Ern­te und des Anbaus in eine fast senk­rech­te Posi­ti­on gebracht wer­den und somit Platz für die land­wirt­schaft­li­chen Maschi­nen machen.

 © Vat­ten­fall

Mit­tels Bat­te­rie­spei­cher zu mehr Fle­xi­bi­li­tät

Eine wei­te­re Beson­der­heit an der Anla­ge ist, dass im Nach­bar­ort Bree­sen eigens ein 110 kV-Umspann­werk errich­tet wur­de und ein Bat­te­rie­spei­cher in der Pla­nung ist. Grund hier­für ist, dass in unmit­tel­ba­rer Nähe der Anla­ge kein ent­spre­chen­der Netz­ver­knüp­fungs­punkt exis­tier­te und das Hoch­span­nungs­netz des zustän­di­gen Ver­teil­netz­be­trei­bers weit­ge­hend aus­ge­las­tet ist. Durch den netz­dien­li­chen Spei­cher lässt sich der erzeug­te Solar­strom fle­xi­bler und bedarfs­ge­recht ins Strom­netz ein­spei­sen, sodass der Solar­strom bspw. auch in der Nacht genutzt wer­den kann.

Im Gespräch mit Kai Debus, Agri-PV-Exper­te von Vat­ten­fall, konn­ten wir mehr über die­ses ein­zig­ar­ti­ge Pro­jekt erfah­ren.

Son­ne­Sam­meln: Die Agri-PV-Anla­ge in Tützpatz ist die größ­te ihrer Art in Deutsch­land. Gab es zuvor klei­ne­re Test­pro­jek­te, um die Tech­no­lo­gie sowie die land­wirt­schaft­li­che Tätig­keit in den Anla­gen zu erpro­ben?

Kai Debus: Ja, wir haben bereits im Jahr 2021 unse­re ers­te Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dung für eine Agri-PV-Anla­ge in den Nie­der­lan­den gefällt. Das Pilot­pro­jekt „Sym­bi­zon“ zielt dar­auf ab, zu erfor­schen, wie wir das Pflan­zen­wachs­tum zwi­schen und unter den Modul­rei­hen opti­mie­ren und gleich­zei­tig Grün­strom erzeu­gen kön­nen.

Son­ne­Sam­meln: Erhält das Pro­jekt Tützpatz eine För­de­rung durch das EEG?

Kai Debus: Nein, für das Pro­jekt wur­den kei­ne För­de­run­gen durch das EEG oder ande­re Sub­ven­tio­nen bean­tragt. Wir haben bei die­sem Pro­jekt zunächst ein Power Purcha­se Agree­ment (PPA) mit der Power and Air Con­di­ti­on Solu­ti­on Manage­ment GmbH (PASM), einer Toch­ter­ge­sell­schaft der Deut­schen Tele­kom AG, für die Dau­er von zehn Jah­ren abge­schlos­sen. Die Anla­ge in Tützpatz deckt rech­ne­risch den Bedarf von etwa 2.500 Mobil­funk­mas­ten. 

Son­ne­Sam­meln: Die Anla­ge ist ein­zig­ar­tig in Bezug auf Maß­stab und Nut­zungs­kon­zept. Als ers­te ihrer Art ist sie sicher inter­es­sant für die For­schung, nicht wahr?

Kai Debus: Es gibt eine wis­sen­schaft­li­che Begleit­stu­die. Dar­in wer­den sowohl auf den Flä­chen von Tützpatz 2 und 3 der Ein­fluss der Pho­to­vol­ta­ik-Anla­ge bzw. der Modul­rei­hen auf den land­wirt­schaft­li­chen Ertrag der Raps­frucht­fol­gen als auch auf Tützpatz 1 die Aus­wir­kun­gen der mobi­len Hüh­ner­hal­tung auf die Nitrat-Stick­stoff-Ein­brin­gung in die Böden und ins Grund­was­ser unter­sucht.

“Die Flä­chen von Tützpatz 2 und 3 wer­den streng nach den Vor­ga­ben aus der DIN SPEC 91434 gebaut und bewirt­schaf­tet.”

Son­ne­Sam­meln: Wird die Agri-PV-Anla­ge gemäß der DIN SPEC 91434 bzw. 91492 gebaut und bewirt­schaf­tet?

Kai Debus: Ja, wir bau­en und bewirt­schaf­ten die Flä­chen streng nach den Vor­ga­ben aus der DIN SPEC 91434. Es gab wäh­rend der Pla­nungs­pha­se und dem Zeit­punkt des ergan­ge­nen Sat­zungs­be­schlus­ses für die Anla­ge zwar noch nicht die jüngst erar­bei­te­ten Stan­dards der DIN SPEC 91492. Den­noch haben wir auch die Flä­che von Tützpatz 1, auf der die Hüh­ner in mobi­len Stäl­len gehal­ten wer­den, streng nach tier­wohl­spe­zi­fi­schen Aspek­ten geplant.

Son­ne Sam­meln: Gab es sei­tens des Flächeneigentümers/Landwirts Zwei­fel am Gelin­gen des Pro­jek­tes?

Kai Debus: Der Land­eigen­tü­mer war dem Pro­jekt ins­ge­samt und vor allem gegen­über unse­ren inno­va­ti­ven Lösun­gen zur dif­fe­rie­ren­den Flä­chen­be­wirt­schaf­tung mit Hüh­ner­hal­tung zwi­schen fest­auf­ge­stän­der­ten Modul­rei­hen sowie Acker­bau zwi­schen bifa­zia­len Tra­cker­mo­du­len sehr posi­tiv ein­ge­stellt.

Die Ein­woh­ner der Gemein­de Tützpatz stan­den dem Pro­jekt von Anfang an sehr posi­tiv gegen­über.“

Son­ne­Sam­meln: Wie ste­hen die Ein­woh­ner der Gemein­de Tützpatz dem Pro­jekt gegen­über?

Kai Debus: Die Ein­woh­ner der Gemein­de Tützpatz stan­den dem Pro­jekt von Anfang an sehr posi­tiv gegen­über. Das hängt unter ande­rem auch damit zusam­men, dass wir die Sicht­ach­sen beach­tet haben und sich die Anla­ge daher sehr gut in die Land­schaft inte­griert.  Vom Orts­kern und des­sen Peri­phe­rie ist die Anla­ge nicht zu sehen.

Son­ne­Sam­meln: Wie lan­ge dau­er­te es denn von der Idee bis zur Eröff­nung der Anla­ge? 

Kai Debus: Auf­grund der Grö­ße und der Kom­ple­xi­tät dau­ert die Rea­li­sie­rung der Anla­ge von der Idee bis zum voll­stän­di­gen Netz­an­schluss rund drei Jah­re.

© Vat­ten­fall

Unter den nach­ge­führ­ten bifa­zia­len Tra­cker­mo­dul­rei­hen wird es bio­di­ver­si­täts­för­dern­de Blüh­strei­fen geben.”

Son­ne­Sam­meln: Wer­den beim Pro­jekt Tützpatz auch bio­di­ver­si­täts­för­dern­de Maß­nah­men umge­setzt? 

Kai Debus: Ja, unter den nach­ge­führ­ten bifa­zia­len Tra­cker­mo­dul­rei­hen wird es bio­di­ver­si­täts­för­dern­de Blüh­strei­fen geben, die gesam­ten Flä­chen wer­den mit hei­mi­schen Gewäch­sen und Hecken ein­ge­grünt. Auf einer rund 2,5 Hekt­ar gro­ßen Flä­che bei Tützpatz 1 wird zudem eine Blüh­wie­se als Lebens­raum für hei­mi­sche Insek­ten, Vögel und Klein­säu­ger ange­legt.

Son­ne­Sam­meln: War­um eig­net sich die Hal­tung von Hüh­nern in der Agri-PV-Anla­ge?

Kai Debus: Die Kom­bi­na­ti­on aus Frei­flä­che und über­bau­ter Flä­che durch PV-Modu­le bil­det eine nahe­zu opti­ma­le Vor­aus­set­zung zur Frei­land­hal­tung von Geflü­gel. Die Hüh­ner haben reich­lich Aus­lauf, wovon sie auch Gebrauch machen, da sie durch die nied­rig anset­zen­den und geneig­ten Modu­le zugleich den Schutz vor Präda­to­ren wie Greif­vö­geln aus der Luft genie­ßen. Durch die geziel­te Nut­zung mobi­ler Stäl­le kann das Aus­lauf­ma­nage­ment der Hüh­ner opti­miert wer­den. Hüh­ner in Frei­land­hal­tung nei­gen ten­den­zi­ell dazu, die Flä­chen im stall­na­hen Bereich sehr inten­siv zu nut­zen und abzu­wei­den. Das wirkt sich zwangs­läu­fig auf den Bewuchs, den Boden und das Grund­was­ser aus. Durch regel­mä­ßi­ges Ver­set­zen der Stäl­le und der Aus­lauf­flä­chen kön­nen sol­che nega­ti­ven Begleit­erschei­nun­gen deut­lich redu­ziert wer­den.  

Son­ne­Sam­meln: Sind wei­te­re Agri-PV-Anla­gen mit einer Kom­bi­na­ti­on aus Tier­hal­tung und Feld­wirt­schaft geplant?

Kai Debus: Ja, wir haben gegen­wär­tig meh­re­re Agri-PV-Anla­gen in Pla­nung. Und die Anfra­gen nach Agri-PV-Anla­gen, ins­be­son­de­re die Kom­bi­na­ti­on aus Tier­hal­tung und effi­zi­en­ter Grün­strom­ge­win­nung, hat in den ver­gan­ge­nen Mona­ten wei­ter signi­fi­kant zuge­nom­men.

Son­ne­Sam­meln: Wird Agri-PV zukünf­tig kom­mer­zi­ell so attrak­tiv wer­den, dass die Tech­no­lo­gie pro­gres­siv aus­ge­baut wird?

Kai Debus: Ja, Agri-PV ist schon heu­te unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen aus wirt­schaft­li­cher Sicht eine attrak­ti­ve Alter­na­ti­ve zu klas­si­schen PV-Frei­flä­chen­an­la­gen. Mit zuneh­men­dem Wir­kungs­grad der Modu­le ist der Ener­gie­er­trag bei Agri-PV-Anla­gen zuletzt kon­ti­nu­ier­lich gestie­gen. Außer­dem wer­den Agri-PV-Anla­gen und ande­re beson­de­re Solar­an­la­gen nach dem EEG ver­gü­tet, gegen­über klas­si­schen Frei­flä­chen­an­la­gen in der Aus­schrei­bung bevor­zugt bezu­schlagt und mit einem höhe­ren Höchst­ge­bots­wert ver­se­hen.

Mehr zu dem Agri-PV-Pro­jekt Tützpatz fin­den Sie auf der Pro­jekt­sei­te von Vat­ten­fall sowie in die­sem Video .  

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Das Inter­view führ­te Ali­ce Brüs­sel-Kur­ba­nov mit Kai Debus am 25. Okto­ber 2024

Kai Debus ist Seni­or Stake­hol­der Mana­ger Ger­ma­ny bei Vat­ten­fall und in die­ser Posi­ti­on u.a. für die lan­des­po­li­ti­schen Bezie­hun­gen zustän­dig. Als Agri-PV-Exper­te und Kon­sor­ti­al­mit­glied hat er an der DIN SPEC 91492 mit­ge­wirkt.

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